Der Schutzengel

Ein Schattenspiel in 6 Bildern
Text und Inszenierung: Ingeborg Kruspel

1. Bild (Himmel)

Willkommen hier in diesem Zimmer
Erfüllt von schwachem Kerzenschimmer
Und kirchlich klingenden Chorälen
Vertraut den frommen Christenseelen.
Doch laßt Euch dieses nicht verdrießen,
Versucht es lieber zu genießen
Und macht Euch innerlich bereit,
Zu einem Blick durch Raum und Zeit.

Der Wolkensaal hier ist der Himmel,
Entrückt dem menschlichen Gewimmel.
Hier ist die Wohnstatt aller Engel,
Die uns behüten trotz der Mängel,
Mit denen wir so schwer beladen.
Sie wahren uns vor groben Schaden.
Sie sind bei uns, seit in den Wiegen
Die Menschenkinder strampelnd liegen.
Sie scheuchen Schlangen, Spinnen, Mücken
Und wenden des Geschickes Tücken.
Sie schützen uns auf unseren Pfaden,
Den krummen und den fast geraden,
Bis wir erwachsen – reif – geworden.
Doch ernten sie erst Lob und Orden
Am Ende unseres Menschenlebens,
Wenn all ihr Mühen nicht vergebens,
Und reinen Herzens wir verscheiden.
Bis dahin sind nicht zu beneiden
Die Engel! Denn wir machen Mühe,
Des Abends spät, des Morgens frühe
Und rätselhaft bleibt unser Leben
Für die, die durch die Himmel schweben.

Fremd sind Gefühle, Ängste, Triebe,
Den Wesen, die ein Gott der Liebe
Zu unserem Schutze abgestellt.
Wie anders ist die Menschenwelt.

Hier sehen wir einen Engel landen –
Er wirkt erschöpft und unverstanden.
Vielleicht schenkt er uns sein Vertauen
Und läßt uns die Probleme schauen,
Die ihn bedrücken und beschweren.
Sprich, Engel! Und wir Menschen hören!

Er schweigt! Wie waren wir vermessen
Und wieso konnten wir vergessen,
Dass wir nur mit dem Herzen hören,
Wenn einer von des Himmels Chören
Mit seinem Schutzbefohlenen spricht.

Verlieren wir die Hoffnung nicht!
Es werden uns die Bilder zeigen,
Was Himmlische im Wort verschweigen...